Frau Pufahl, warum haben Sie sich vor über einem Jahr für eine Professur an der CIT in Heilbronn entschieden?
Es gibt zwei Arten von Wirtschaftsinformatiker:innen: die einen untersuchen eher die Wirkung von IT auf Individuen und Organisationen mit Hilfe von Techniken der Sozialforschung. Sie agieren vor allem in den Bereichen BWL oder der Sozialforschung. Ich zähle hingegen zu den technischen Wirtschaftsinformatiker:innen, die lösungsorientiert an Probleme im IT-Bereich herangehen. Dieses Profil wird seltener gesucht – aber in Heilbronn war das der Fall. Die Chance an der Aufbauarbeit am neuen, sich stark entwickelnden CIT Standort mitwirken zu können, hat mich begeistert.
Nach Ihrer Promotion am Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam und Forschungsaufenthalten in den Niederlanden und Österreich arbeiteten Sie zuletzt als Postdoc und Vertretungsprofessorin an der Technischen Universität Berlin. Wie haben Sie sich auf die neue Aufgabe als Professorin eines eigenen Lehrstuhls vorbereitet?
An der TU Berlin konnte ich glücklicherweise am Programm „ProFiL." teilnehmen. Es dient der Professionalisierung von Frauen in Forschung und Lehre. Die drei Komponenten Mentoring, Training und Networking bereiten die Teilnehmerinnen auf alle wichtigen Bereiche vor - von der Bewerbung bis zur Führung von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen. Auch der Austausch mit den anderen Programmteilnehmerinnen war sehr hilfreich. Außerdem war meine Mentorin, Prof. Susanne Strahinger, eine ganz tolle Partnerin, die mir half voranzukommen und zu wachsen.
Wie war Ihr Start im Amt als Professorin?
Eigentlich sehr angenehm. Ich kenne die typischen Strukturen von deutschen Universitäten. Vom Hasso-Plattner-Institut weiß ich wie es ist, mit einer Stiftung zu arbeiten. Natürlich muss man immer noch hier und da nachhaken, wie der Prozess genau implementiert und wer im Einzelnen dafür verantwortlich ist. Aber die Grundkonzepte kannte ich schon, und es gibt hier viele tolle Leute am Campus, die mich begleitet haben. Meine Zusammenarbeit mit der Dieter Schwarz Stiftung läuft zur Zeit im Wesentlichen über Veranstaltungen, an denen sich auch die Stiftung beteiligt, wie z.B. den TUM Talk. Als TUM engagieren wir uns auch an der Bürgeruniversität. Weiterhin macht die Stiftung tolle Angebote, wie etwa das Dieter Schwarz-Forschungsstipendium oder bietet Startup-Unterstützung. Das schafft ein sehr dynamisches Umfeld, in dem mir der Start sehr leicht gefallen ist.
Was war für Sie bisher die größte Herausforderung als Professorin?
An meinen früheren Arbeitsstellen liefen die Studiengänge immer schon einige Jahre und es lagen bereits Erfahrungswerte vor. Hier ist unser Bachelor-Studiengang erst im dritten Jahrgang. Natürlich können wir auf die Erfahrung aus Garching mit ähnlichen Studiengängen zurückgreifen. Aber in Heilbronn müssen wir erst sehen, wie erfolgreich „Information Engineering" in der Praxis ist, und was es vielleicht anzupassen gilt.
Außerdem haben wir den Master-Studiengang „Information Engineering" entwickelt, obwohl noch nicht alle beteiligten Professor:innen an Bord waren. Er soll voraussichtlich im Wintersemester 2024/25 starten. Auch diesen Studiengang müssen wir erst mal testen und mithilfe des Feedbacks von den Studierenden weiter optimieren.
Um zu agieren, brauchen wir gute Räumlichkeiten und die entsprechende Technik. Auch die optimalen Kommunikationsstrukturen sind noch im Aufbau. Wie soll etwa der Kontakt nach Garching laufen? Wie unabhängig sind wir hier und wie integriert sind wir dort? Das sind aus meiner Sicht gerade die spannendsten Themen.
Als eine der beiden Professorinnen an der CIT in Heilbronn sind Sie auch Role Model für weibliche Studierende und Wissenschaftlerinnen – haben Sie sich in diesem Bereich bereits engagiert?
Ich war bereits beim Girls' Day aktiv und versuche bei unseren Veranstaltungen allgemein präsent zu sein. Schülerinnen und weibliche Studierende sollen sehen, dass es in unserem Bereich nicht nur männliche Professoren gibt. Wenn wir in Zukunft auf einen Frauenanteil von über 20 Prozent in unseren Studiengängen kommen würden, wäre das ein großer Erfolg. Ich versuche gute Studentinnen z.B. gezielt auf Hiwistellen anzusprechen und stelle ihnen gerne Gutachten aus, wenn sie sich irgendwo bewerben möchten. Es ist mir sehr wichtig, sie zu unterstützen.
Welche Ziele haben Sie sich fürs Jahr 2024 im Rahmen Ihrer Tätigkeit gesetzt?
Mein wichtigstes Ziel in diesem Jahr ist es, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen einen Antrag für eine DFG Forschungsgruppe im Bereich daten-getriebenes Compliance Checking einzureichen. Wir haben bereits die entsprechende personelle Besetzung gefunden. Der nächste Schritt ist das Antragschreiben. Ich habe angeboten, hier die Sprecherschaft zu übernehmen.
Sie sind mit Ihrer ganzen Familie nach Heilbronn gezogen. Haben sich alle gut eingelebt?
Ich habe vorher mit meiner Familie besprochen, wo ich mich um eine Professur bewerbe. Alle fühlen sich in Heilbronn wohl. Wir hatten auch das Glück, für meine neunjährige Tochter einen Platz in der zweisprachigen Josef-Schwarz-Schule direkt hier am Campus zu bekommen. Diese kann man von der Grundschule bis zum Abitur besuchen.
Haben Sie schon einen Lieblingsplatz in der Stadt Heilbronn oder am Campus für sich entdeckt? Was finden Sie besonders gut – oder schlecht?
Rund um das Science Center „Experimenta“ ist es sehr schön. Genauso gern mag ich die Neckarmeile und den Blick vom Wartberg. Von Anfang an ist mir aufgefallen, dass der Campus sehr integrativ ist. Wir haben hier einen bunten Mix an Organisationen. Durch die gemeinsame Mensa und gemeinsame Veranstaltungen kommen wir alle in Kontakt. Das gefällt mir besonders gut. Die Studierenden haben jedoch angemerkt, dass die Öffnungszeiten der Mensa nicht optimal sind. Wir brauchen als Unicampus auch ein Angebot fürs Wochenende und für den Abend. Außerdem gibt es vor Ort kein so großes Sportangebot wie an der TU München. Aber das kann sich ja noch entwickeln.
Welche Vorteile haben Studierende aus Ihrer Sicht am CIT Standort Heilbronn?
Es gibt mehr Wohnraum für Studierende. Alles ist näher beisammen und nicht so verteilt wie in München. Dadurch hat sich schon eine richtige Studierenden-Community in Heilbronn gefunden. Man kann sich hier ziemlich einfach kennenlernen und hat das bunte Angebot der unterschiedlichen Organisationen am Campus. Unser Bachelor-Studiengang ist sehr international. Hier kann man auch ohne Deutschkenntnisse ankommen und diese nach und nach erwerben. Dazu kommt noch eine starke Industrieumgebung.
Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, damit Absolvent:innen nach Studienende nicht gleich wieder aus Heilbronn abziehen?
Für die Studierenden muss die Attraktivität der Stadt Heilbronn selber noch ausgebaut werden, was etwa Partyszene oder Konzerte betrifft. Aber das ist nur eine Frage des Wachstums. Wenn die Studierenden diese Aktivitäten selbst aufbauen, ist das Ganze noch attraktiver. Wir brauchen nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl an der Uni und beim Lernen. Auch in der Freizeit muss die Zusammengehörigkeit gestärkt werden. Dann bleiben junge Leute gerne hier. Natürlich wird es auch weiterhin Absolvent:innen geben, die wegziehen. Aber dafür kommen zum Masterstudium wieder neue dazu.
Haben Sie zum Abschluss noch eine Message an die Mitarbeitenden am CIT Standort Garching?
Ich lade alle Interessierten herzlich ein, Heilbronn im Rahmen einer Dienstreise kennenzulernen. Es lohnt sich wirklich! Gerne können auch Professor:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen einen Gastvortrag bei uns halten. Besonders empfehlenswert ist hierfür übrigens der Monat September. Mit 500 Hektar Rebfläche ist Heilbronn nämlich eines der größten Weinanbaugebiete Baden-Württembergs. Mit dem Stadtfest „Heilbronner Weindorf“ wird dies im September fast zwei Wochen lang gefeiert.
Weitere Informationen und Links
- Seit Herbst 2018 ist die TUM auf dem Bildungscampus Heilbronn vertreten und bietet dort mittlerweile über 500 Studierenden in fünf Studiengängen ein vielfältiges Angebot. Dieses konzentriert sich auf die Bereiche Management der digitalen Transformation, Familienunternehmen und Informatik. Da die Lehre ausschließlich in englischer Sprache stattfindet, sind auf dem Bildungscampus Heilbronn Studierende und Dozierende aus über 50 Ländern zuhause.
- In ihrem Forschungsgebiet beschäftigt Prof. Luise Pufahl mit dem Management und der Automatisierung von Geschäftsprozessen sowie Process Mining. Anwendungsgebiete sind vor allem das Gesundheitswesen und die Logistik. Sie leitet die Forschungsgruppe “Information Systems”. Ein Interview bzw. einen Artikel zur Forschung von Prof. Pufahl gibt es auf den Seiten 20 und 21 der sechsten Ausgabe sowie auf den Seiten sechs und sieben der siebten Ausgabe des Magazins Mindshift des TUM Campus Heilbronn.