Politologie und Mathematik - Studierende im interkulturellen Diskurs
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Dazu machten sich Studierende der Politologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Mathematik der Technischen Universität München (TUM) auf den Weg nach Rothenburg o. d. T.
Welche Prozesse steuern die Entwicklung von Staaten?
Das Thema, das die Gruppe von Studierenden untersucht, ist die Evolution von Staaten und Organisationen. Gerade in der aktuellen Situation, in der die Souveränität und die Grenzen von europäischen Staaten infrage gestellt werden, ist es umso wichtiger, sich über die tieferen Prozesse Gedanken zu machen, die die Entwicklung moderner Staatsgebilde steuern. Klar, ein Kernthema der Politologie. Aber was haben Mathematiker*innen dabei zu suchen?
Mathematik ist ein essenzielles Werkzeug in der Evolutionstheorie – wohl eingeführt und akzeptiert bei der Untersuchung in der Entstehung komplexer biologischer Systeme, eher experimentell und wissenschaftliches Neuland in der Politologie. Mathematik erlaubt es, Mechanismen klar zu formulieren, Ideen und Hypothesen in quantitative Modelle umzusetzen und theoretische Überlegungen damit in überprüfbare Voraussagen zu übersetzen. Für die Biologie und Evolutionstheorie war das ein langer Weg, aber schon Darwin erkannte, dass der Weg fruchtbar sein könnte.
Unterschiedliche Fachkultur: Mathematik meets Politikwissenschaft
Die Studierenden starteten eine ähnliche Expedition mit dem Kick-off-Meeting in der Tagungsstätte Wildbad in Rothenburg, gesponsert von der politikwissenschaftlichen Fakultät in Würzburg und der Biomathematik der TUM. Es war der Ausgangspunkt eines Projekts, das im Wintersemester als Seminar stattfindet. Die Frage: Können wir gemeinsam, aus Politologie und Mathematik heraus, die Werkzeuge der mathematischen Evolutionstheorie in sozialwissenschaftliche Forschungstools übersetzen?
Zunächst versuchten die Studierenden der Mathematik, sich der eigenen Disziplin und wissenschaftlichen Identität gewahr zu werden und Selbstverständliches zu hinterfragen:
- Ist Mathematik kulturabhängig?
- Wenn wir etwas bewiesen haben, ist es wahr?
- Welche philosophischen Grundlagen hat die Mathematik eigentlich?
Alles Themen, denen wir im Studium eher nicht begegnen. Auf dieser Basis sollen sich die Mathematiker*innen auf die Fachkultur der politologischen Kommiliton*innen einlassen können und deren Arbeitsweise verstehen:
- Wie gewinnen Soziologen Erkenntnis?
- Reden die nur oder arbeiten die auch?
- Was ist eigentlich eine Institution?
Wie können wir Regeln so adaptieren, dass Systeme – etwa die Nutzung von Gemeingut – langfristig funktionieren?
Von der Theorie zur Praxis
Danach folgte die Praxis: direkte Diskussion und Ringen um die gemeinsame, interdisziplinäre Basis - nicht nur beim Werwolf-Spielen am Abend, sondern auch tagsüber in den Arbeitsgruppen. Diesen gelang es dabei, schon erste Ergebnisse und Ansätze zusammenzutragen. Und es läuft. Es läuft nicht nur irgendwie, sondern erstaunlich gut. Mühelos fanden sich die interdisziplinären Teams zusammen. Das Kick-off-Meeting des Seminars hat definitiv Lust auf mehr gemacht.
Die Evolution von Staaten und Organisationen: Wir sehen einem spannenden und kontroversen Semester entgegen – voll Neugierde auf den anderen Fachbereich, viel guten Willens Brücken zu schlagen, und auch voll Aussicht auf wissenschaftlichen Ertrag. Für alle, die neugierig geworden sind: Die Ergebnisse planen wir, zugänglich zu machen, sodass jede*r an dem Experiment teilhaben kann.
Text: Matthias Gsänger (JMU Würzburg), Volker Hösel (TUM), Johannes Müller (TUM)